Inhaltsverzeichnis
- Gründung im 10. Jahrhundert
- Die Wormser Synagogen
- Mikwe und Jeschiwa
- Friedhof Heiliger Sand
- Privilegien des 11. Jahrhunderts
- Kreuzzugspogrom und Wachstum im 12. Jahrhundert
- Blütezeit im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert
- Krise im 14. Jahrhundert
- Schwierige Nachbarschaft im 15. Jahrhundert
- Die Judenordnungen
- Warmaisa in der Frühen Neuzeit
- Literatur
Hinweise
Weblinks
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0.Die jüdische Gemeinde Warmaisa
Siedlungsspuren in Worms reichen über 5000 Jahre zurück. Seit dem 7. Jahrhundert ist die Stadt nachgewiesener Bischofssitz und somit eines der ältesten Bistümer des Reiches. Im 11. Jahrhundert wurde dort ein Dom erbaut, eine Kaiserpfalz existierte schon früher. Der nahe gelegene Rheinübergang war eine wichtige Passage für die West-Ost-Achse zwischen dem Französischen und dem Deutschen Reich. Worms bezeichnete sich selbst im Mittelalter als „Freie Stadt“, erhob also den Anspruch, niemandem unterstellt zu sein, keinem Stadtherren und keinem König. Sie würde zwar die Herrschaft des Königs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation akzeptierten, schuldete ihm aber keine Abgaben oder Dienste. Dieser Anspruch wurde von den Königen zwar nie offiziell anerkannt, führte jedoch zur Entwicklung eines starken Selbstbewusstseins der Wormser Bürger. Ab dem 11. Jahrhundert bemühte sich die Bürgerschaft, die Position des Bischofs als Stadtherr zu untergraben und selbst die Regierung und Verwaltung der Stadt zu übernehmen, was ihr im 13. Jahrhundert schließlich auch gelang.
0.1.Gründung im 10. Jahrhundert
Worms wurde von den Juden Warmaisa genannt, die dort ansässige jüdische Gemeinde wurde auch als „Kehilla Kedoscha“, Heilige Gemeinde, bezeichnet, manchmal auch als Klein Jerusalem. Das Besondere an der Wormser Gemeinde war ihre Kontinuität. Bis auf einige wenige Fälle wurde sie nie kompett zerstört oder aufgelöst. Der früheste Nachweis für jüdische Siedler in Worms stammt aus dem Jahr 960, als einige Wormser Juden als Händler bei der Kölner Messe erwähnt werden. Gegründet wurde die Gemeinde höchstwahrscheinlich um einiges früher.
Es gibt zahlreiche Gründungslegenden zur jüdischen Gemeinde in Worms. In einer wären schon nach der ersten Zerstörung des Tempels von Jerusalem 587 v. Chr. Juden ins Rheinland gezogen, eine weitere Legende spricht von der Besiedlung Worms‘ nach der zweiten Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. Letztlich sind jedoch diese Legenden nicht haltbar und entstanden meist lange nach der Gründung der Wormser jüdischen Gemeinde.
Das Judenviertel lag im Nord-Ost-Bogen der inneren Stadtmauer und blieb dort bis zur Französischen Revolution. Vermutlich hatten zuvor die Friesen, Fernhändler aus dem Norden, an dieser Stelle gesiedelt. Möglicherweise wurde deshalb den Juden dieser Straßenzug zugewiesen, da sie bei ihrer Ansiedlung im 10. Jahrhundert die Rolle dieser Fernhändler übernahmen. Das nächstgelegene Stadttor führte direkt zum Rheinhafen mit seinen Lagerhallten, so dass die jüdischen Kaufleute rasch zu ihrer Arbeit gelangen konnten. Dieses Tor, das zuvor Friesensperre genannt wurde, bekam die neue Bezeichnung Judenpforte. Zudem kann man die Abschnitte der Stadtmauer, die das Judenviertel umschließt, an den Fensterdurchbrüchen erkennen, welche die Juden angelegt hatten. Dies war für die restliche Bevölkerung verboten, während die jüdische Gemeinde ein gesondertes Privileg dafür erhalten hatte.
0.2.Die Wormser Synagogen
Im August oder September 1034 wurde eine Synagoge geweiht, die heute nicht mehr erhalten ist. Laut der noch existierenden Inschrifttafel stiftete das kinderlose Ehepaar Jakob ben David und Rahel ihr Vermögen an Gott, damit die Synagoge gebaut und ausgestattet werde. Da zur gleichen Zeit auch der Bau des Doms stattfand, wird vermutet, dass die gleichen Bauleute an beiden Gebäuden arbeiteten. Die Lage der Synagoge ist heute nicht mehr genau zu bestimmen, vermutlich stand sie unmittelbar westlich der heutigen Männersynagoge.
1174/75 wurde die Synagoge durch einen neuen, größeren Bau ersetzt. Sie war nach Osten ausgerichtet und entstand parallel zum Neubau des Domes, so dass wieder die Vermutung naheliegt, dass die Handwerker an beiden Gebäuden gearbeitet hatten. In den Jahren 1212/13 stiftete das kinderlose Ehepaar Meir ben Joel ha-Kohem und Judith Geld für eine Frauensynagoge, ähnlich wie schon das Paar knapp 200 Jahre zuvor. Die Frauensynagoge wurde direkt an die Männersynagoge angebaut, durch ein Fenster konnten die Frauen den Gottesdienst akustisch verfolgen.
Jedoch war die Frauensynagoge keine eigenständige Synagoge im eigentlichen Sinn, da sie keine eigene Torarolle besaß. Es gab trotzdem eigene Gebete, Gesänge und eine eigene Vorbeterin. Die erste, Urania, wurde 1275 auf dem Wormser Friedhof beerdigt. Bei einer Beschneidung wurde das Kind zuerst von den Frauen in die Fraunesynagoge getragen, dann durch das Fenster den Männern übergeben. Traditionell wurde die Windel des Kindes mit Namen, Geburtsdatum und einem Segensspruch oder einer Illustration versehen und dann in der Synagoge ausbewahrt.
Während des Pestpogroms von 1349 wurde die Synagoge beschädigt und anschließend wieder aufgebaut, gleiches geschah während des Pfälzischen Erbfolgekrieges im Jahr 1689. Während des Pogroms am 10.11.1938 wurde die Synagoge schließlich komplett niedergebrannt, die Ruinen 1941 abgerissen. In den 1950er Jahren wurde sie in alter Gestalt wieder aufgebaut und ist bis heute zu besichtigen.
0.3.Mikwe und Jeschiwa
1185/86 stiftete Josef ha-Levi eine Mikwe, die neben der Synagoge gebaut wurde und bis heute erhalten geblieben ist. Sie ist ein Beispiel staufischer Baukunst und wurde nach dem Vorbild der Speyrer Mikwe errichtet, weswegen sie auch den gleichen Aufbau besitzt. Ein Treppenhaus führt in einen unterirdisch gelgenen Vorraum, von dem aus eine Schacht zum Wasserbecken weiterführt. Das Bad wird durch einen unterirdischen Grundwasserstrom gespeist. Insgesamt ist das Bad etwas kleiner als seine Speyrer Vorlage.
Auch die Talmudhochschule existierte laut der Vita des Rabbi Salomo ben Isaak schon im 11. Jahrhundert und gelang schnell zu europaweiter Bekanntheit. Salomo ben Isaak, oft schlicht Raschi genannt, war der berühmteste Schüler der Wormser Talmudhochschule und zugleich der bedeutendste jüdische Gelehrte des aschkenasischen Judentums im Mittelalter. Er wurde um etwa 1040 in Troyes geboren, und auch um seine Geburt ranken sich Legenden. So heißt es, sein Vater habe eine Prophezeihung erhalten, dass sein Sohn wie ein Edelstein leuchten werde. Um 1060 studierte Raschi an den Talmudhochschulen von Mainz und Worms, bevor er 1065 wieder nach Troyes zurückkehrte und dort 1105 starb. Der Rabbiner und Gelehrte Isaak ben Eleasar ha-Levi sowie der Leiter der Talmudhochschule, Jakob ben Jakar, waren die Lehrer Raschis. Raschi bezog sich in seinen eigenen Werken des öfteren auf diese beiden.
Sein bedeutendsten Werke waren die Kommentare zu Bibel und Talmud, die noch bis heute verwendet werden. Die Besonderheit seine Kommentare lag in ihrer klaren Formulierung und einfachen Verständlichkeit, so dass auch ungeübte Leser sie verstehen konnten. Sein Bibelkommentar ist der bis heute am meisten gelesene, und wurde 1475 als erstes hebräisches Buch gedruckt. Auch viele christliche Gelehrte des Mittelalters studierten seine Schriften und wurden von ihnen beeinflusst.
Neben Raschi lehrten und studierten zahlreiche weitere jüdischen Gelehrte an der Wormser Talmudhochschule. Isaak ben Eleasar ha-Levi verfasste ebenfalls weit verbreitete und rezipierte Kommentare zu Bibel und Talmud und führte einige Neuerungen im Ritus ein. Er starb noch vor dem ersten Kreuzzug, seine Frau und drei seiner Söhne wurden während des Pogroms 1096 ermordet. Mitte des 11. Jahrhunderts lebte der Vorbeter Meir ben Isaak in Worms, eine Autorität auf dem Gebiet der Gebetsordnung. Er verfasste zahlreiche Hochzeits- und Klagelieder, die auch außerhalb Worms verbreitet und verwendet wurden.
0.4.Friedhof Heiliger Sand
Im Jahr 1076 oder 1077 wurde der jüdische Friedhof Heiliger Sand gegründet, der älteste noch erhaltene jüdische Friedhof in Europa. Der älteste Grabstein stammt von 1067 und war für Jakob habachur, ein unverheirateter Student, erstellt worden. Der Name Heiliger Sand entstand durch die Beschaffenheit des Bodens des Friedhofs, eine Sandgrube, die weder als Baufläche noch Ackerland zu verwenden war. Vermutlich überließ der Bischof den Juden den Platz als Friedhof, für Bestattungen verlangte er jedoch Gebühren.
Im Jahr 1260 wurde der Friedhof ummauert und ausgeweitet, was zu einem Streit mit der Bürgerschaft führte, da die Juden dafür Häuser aufkauften und abrissen. 1278 kam es zu einem erneuten Streit, bei dem mit der Zerstörung des Friedhofs gedroht wurde. Die jüdische Gemeinde konnte dies abwenden, indem sie 400 Heller bezahlte, was etwa der Steuer eines ganzen Jahr entsprach. Seit 1307 befand sich auf dem Friedhof auch ein Grabstein für den Märtyrer Meir ben Baruch. Der Rabbi Meir, auch Maharam genannt, war 1220 in Worms geboren worden und wirkte vor allem in Rothenburg. Dort organisierte er 1286 eine Auswanderung der Juden ins Heilige Land, wurde aber von König Rudolf gefangen genommen und bis zu seinem Tod 1293 eingekerkert. 1307 wurde der Leichnam von seinem Schüler Alexander ben Salomon Wimpfen freigekauft. Er wurde nach seinem Tod neben Rabbi Meir begraben.
Eine Besonderheit des Wormser Judenfriedhofs war die Ausrichtung der Grabsteine. Es war üblich, diese nach Jerusalem im Osten blicken zu lassen, in Worms sind jedoch alle Grabsteine nach Süden ausgerichtet. Allein der Grabstein des Mainzer Rabbi Jakob Molin, der 1427 gestorben war, ist geostet. Es existieren zwar Legenden, dass dies auf seinen Wunsch geschah oder der Stein sich gar selbst gedreht hätte, vermutlich aber war der Grabstein zu einem Zeitpunkt umgestürzt und wurde dann schlicht falsch wieder aufgestellt. Bis heute befinden sich über 2.500 Grabsteine aus dem 11. bis 20. Jahrhundert auf dem Friedhof, der trotz zahlreicher Pogrome nie zerstört wurde.
0.5.Privilegien des 11. Jahrhunderts
Das älteste erhaltene schriftlich fixierte Privileg der Wormser Juden stammt aus dem Jahr 1074. Darin garantiert Heinrich IV. allen Wormser Kaufleuten, Juden wie Christen, freie Durchfahrt an einigen königlichen Zollstellen wie Frankfurt, Boppart und Dortmund, zum Dank für geleistete politische und militärische Hilfe. In einer späteren Bestätigung des Privilegs aus dem 12. Jahrhundert fehlt bereits der Passus, in dem die Juden erwähnt wurden, da ihre Bedeutung für den Fernhandel zu diesem Zeitpunkt bereits stark zurückging.
Weitere Privilegien wurden in einer Urkunde aus dem Jahr 1090 formuliert, wobei der Kaiser sich als Gerichts- und Schutzherr der Juden bezeichnete. Diese Privilegien wurden 1157 von König Friedrich Barbarossa und 1236 von König Friedrich II. bestätigt, der sie auch auf alle Juden im Reich ausdehnte. Darin wurde unter anderem festgelegt, dass die Juden ihre eigene Rechtsprechung besaßen und nur von ihnen gewählte Richter oder der Kaiser selbst über sie Gericht halten konnte. Ihnen wurde Schutz von Leben, Eigentum und Wohnung garantiert, aller Besitz, auch Immobilien und Grundstücke, konnten ohne Einschränkungen an die Nachkommen vererbt werden. Zudem besaßen die Juden das Recht auch freien Handel, Geldwechsel und Zollfreiheit. Sie durften christliche Diener und Angestellte beschäftigen, aber keine christlichen Unfreien, und nicht an Sonn- und Feiertagen. Sollte ein jüdischer Händler ohne es zu wissen Diebesgut gekauft haben, so musste er erst nach Rückzahlung des Kaufpreises die Ware zurückgeben. Die Zwangstaufe war verboten und Mord, Anstiftung zu Mord und Angriff auf jüdische Bürger wurde unter schwere Strafe gestellt. Die jüdische Gemeinden waren von den meisten Abgaben und Diensten befreit, hatten aber einige Sondersteuern zu zahlen.
0.6.Kreuzzugspogrom und Wachstum im 12. Jahrhundert
Wie in vielen anderen Gemeinden war der Pogrom 1096 im Rahmen des ersten Kreuzzugs ein traumatisches Ereigniss. Es gab zahlreiche Tote, viele wählten den Freitod, als ihnen die Zwangstaufe drohte. Auch der Bischofshof wurde vom Mob angegriffen, der Bischof war jedoch nicht anwesend. Viele Juden gaben ihren christlichen Nachbarn ihr Geld zur Verwahrung, um es vor Plünderungen zu schützen. Die Angreifenden waren neben Teilnehmern des Kreuzzuges vor allem die armen Unterschichten aus der Umgebung und der Stadt, die meisten Wormser Bürger waren nicht an den Ausschreitungen beteiligt. Die Synagoge wurde beschädigt und es gab etwa 400 Todesopfer, womit die jüdische Gemeinde, die zuvor auf etwa 600 Personen geschätzt wird, stark dezimiert worden war. Der Wiederaufbau begann noch im gleichen Jahr und ging dank der Ankunft neuer jüdischer Siedler rasch voran. Im Jahr 1097 erlaubte Kaiser Heinrich IV. den zwangsgetauften Juden ausdrücklich, zu ihrer eigenen Religion zurückzukehren.
Von 1112 ist die Erneuerung des Zollprivilegs durch Heinrich den V. überliefert. Vor dem Pogrom im Rahmen des Zweiten Kreuzzugs im Jahr 1146 konnte die jüdische Gemeine rechtzeitig fliehen, so dass kein großer Schaden entstand. Im April 1157 bestätigte Friedrich I. Barbarossa nochmals einige Privilegien für die jüdische Gemeinde, vor allem Handels- und Zollfreiheit, keine Abgaben und Frondienste, unbegrenztes Seidlungsrecht und Schutz vor Zwangstaufe.
Im Jahr 1195 liessen sich einige Juden aus Speyer in Worms nieder, nachdem sie anlässlich des Auffindens einer toten Christin vor den Stadtmauern aus ihrer Gemeinde vertrieben worden waren. Im Februar 1201 wurde Worms angegriffen, die jüdische Gemeinde verteidigte mit den anderen Bürgern die Stadtmauer. Zu diesem Zeitpunkt besaßen die ansässigen Juden noch das Recht, Waffen zu tragen. Dies sollte sich im Verlauf des 13. Jahrhunderts ändern.
0.7.Blütezeit im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert
Die jüdische Gemeinde war im 12. und 13. Jahrhundert sehr wohlhabend, wie am hohen Steueraufgebot abzulesen ist. Sie unterstützte finanziell die Kriegsangelegenheiten der Stadt. 1261 zahlte sie einen Beitrag von 230 Pfund Heller, um die Stadtmauer wieder aufzubauen und zu sanieren. Im Jahr 1269 zahlte sie auch Geld an König Richard von Cornwall, damit er sie nicht dem Speyrer Bischof unterstelle und auch sonst unbehelligt lasse.
1165 wird Eleasar ben Jehuda Kalonymos, genannt Rokeach, in Speyer geboren, ab 1190 war er Vorbeter und Rabbiner in Worms. Er verfasste zahlreiche Schriften zur Mystik und Kabbala, am wichtigsten war sein Werk zu den Festtagsvorschriften und Speisegesetzen, die er modernisierte und so für die Anwendung im Alltag aufbereitete. Rokeach vertrat Worms zwischen 1220 und 1223 bei den Synoden der SchUM-Städte, als diese Regeln und Verordnungen für das Leben in den Gemeinden trafen. Diese Beschlüsse, Takkanot Schum genannt, waren für alle jüdischen Gemeinden im Deutschen Reich bindend. Im 13. Jahrhundert befanden sich die SchUM-Städte auf dem Höhepunkt ihrer Bedeutung und ihres Einflusses, ihre Beschlüsse wurden in ganz Europa diskutiert.
Im Jahr 1272 entstand der Wormser Machsor, ein hebräisches Gebetsbuch mit Buchmalereien und Noten für synagogalen Gesang. Zahlreiche Abbildungen von Tieren, Architektur und Szenen des jüdischen Lebens schmücken das Buch aus. Es stellt damit eine wertvolle Quelle für die Kultur des mittelalterlichen Judentums dar. Neben seinem hohen materiellen und historischen Wert ist es zugleich der älteste geschriebene Beleg des Jiddischen, da in dieser Sprache zwei Zeilen in den Machsor eingetragen worden waren.
Zugleich ging jedoch die Bedeutung der Talmudhochschule im 13. Jahrhundert zurück, es sind nur noch wenige bekannte Namen überliefert. Auch verschlechterte sich allmählich die Beziehung zur Obrigkeit, nachdem der Stadtrat endgültig die Oberhand über den Bischof errang und die Regierung und Verwaltung der Stadt übernahm. Zu den ersten neuen Maßnahmen gehörte die Eingrenzung des erlaubten Wohngebietes, die Juden wurden allmählich in ihr Viertel zurückgedrängt. 1298 wurde ihnen außerdem verboten, Grundbesitz zu erwerben.
0.8.Krise im 14. Jahrhundert
Die Wormser Gemeinde wuchs weiterhin, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts machte die jüdische Gemeinde etwa 10% der Bevölkerung aus, ein ungewöhnlich hoher Anteil. Im Jahr 1312 verhandelte die Gemeinde mit dem Bischof um die Zusammensetzung des zwölfköpfigen Judenrates und verlangte, neu zugewanderte romanische Juden - die –meisten stammten aus Frankreich- vom Rat auszuschließen. Die Wormser Judenordnung erlaubte die Mitgliedschaft im Judenrat selbst bei mehrjähriger Abwesenheit, wenn ein Ratsmitglied jedoch länger als drei Jahre nicht erschien wurden Neuwahlen angesetzt. Einer der Ratsmitglieder wurde vom Bischof zum Judenbischof ernannt, ein Titel ohne klar definierte Kompetenzen, der aber vermutlich als Liaision zwischen Bischof und Judenrat dienen sollte.
Im Jahr 1348 übergab Kaiser Karl IV. das Judenprivileg der jüdischen Gemeinde in Worms an den Stadtrat, Bischof und Kaiser behielten aber zugleich einen Teil ihrer Rechte ein, sodass die Juden nun mit König, Stadt und Bischof drei verschiedene Schutzherren hatten, die sie zu mehreren Gelegenheiten gegeneinander ausspielen konnten. Zu dieser Zeit lebten wieder etwa 400 bis 600 Juden in Worms.
Der Pestpogrom von 1349 zerstörte große Teile des Judenviertels, sowohl der Synagogenbezirk als auch die Judengasse wurden in Brand gesteckt, um die 400 Juden erschlagen. Der König überließ die Überlebenden und den gesamten Besitz der jüdischen Gemeinde der Stadt, anstatt selbst als Schutzherr aufzutreten.
Am 9.5.1353 beschloss der Stadtrat in Übereinstimmung mit den Zünften und den Münzerhausgenossen, die Juden „um ihrer Nutzen willen“ wieder aufzunehmen, jedoch durften sie sich nur noch im Judenviertel niederlassen. Trotzdem erholte sich die Gemeinde finanziell schnell von den Verfolgungen, 1376 zahlten sie der Stadt 20.000 Gulden für den Kampf gegen Graf Emich von Leinigen, der die Stadt bedrohte. Ihre ehemalige Größe konnte die Gemeinde nicht ganz so zügig zurückgewinnen. 1377 unterschrieben 36 jüdische Familienoberhäupter die Steuerliste für eine Sondersteuer, womit die Zahl der gesamten Gemeinde auf etwa 200 Mitglieder geschätzt wird.
Mit dem Wiederaufbau der Gemeinde ab 1353 gingen jedoch neue Restriktionen einher. Der Rechtsstatus der Juden verschlechterte sich von diesem Zeitpunkt an zunehmend. Waren die Wormser Juden zuvor mit fast den gleichen Bürgerrechten ausgestattet wie die Christen, wurden diese jetzt allmählich eingeschränkt. Nur eine begrenzte Zahl an Zuwanderern wurde erlaubt, die Aufenthaltserlaubnis wurde auf 4 Jahre beschränkt, Verlängerungen mussten teuer erkauft werden. Neue Bauten mussten von der Stadt erlaubt werden.
0.9.Schwierige Nachbarschaft im 15. Jahrhundert
Im Jahr 1410 erhob Bischof Johann von Fleckenstein den Vorwurf, Juden hätten ein Christenkind ermordet, sah aber gegen Bezahlung von einer Weiterführung der Anschuldigungen ab, zumal es weder Beweise noch Zeugen für die Tat gab. In den 1430er Jahren kam es erneut zu Unruhen, da die Schuldner der jüdischen Geldleiher, vor allem Bauern, einen Schuldenerlass forderten. Die Stadt Worms koordinierte zusammen mit Speyer, wo ähnliche Unruhen stattfanden, Schutzmaßnahmen für die jüdischen Bewohner und verhinderte durch das Versprechen der Zinsminderung und längerer Fristen eine Eskalation.
Im Jahr 1476 kam es zu einer aktenbelegten kuriosen Begebenheit: Ein achtjähriger jüdischer Junge namens Joseph fragte am Sonntag nach Pfingsten einen christlichen Schüler, wie er Christ werden könnte. Dieser schickte ihn zu Eberlin Heffner. Dieser nahm den Jungen bei sich auf, gab ihm Schweinefleisch zu essen –was den Juden nicht erlaubt war- und organisierte für ihn eine Taufe in St. Ruprecht, da sich der Pfarrbereich dieser Kirche auch auf die Judengasse erstreckte. Dagegen protestierte die jüdische Gemeinde, einige drangen gewaltsam in das Haus Heffners ein und holten den Jungen heraus. Die Konversion war damit abgewendet, Heffner verteidigte sich gegen die Vorwürfe der Juden, alles sei von Seiten des Jungen freiwillig geschehen.
Die Stadt plante 1487, die Juden aus Worms zu vertreiben, indem sie die Aufenthaltserlaubnis aufkündigte, dies wurde ihnen jedoch von Kaiser Friedrich III. verboten. Im Jahr 1490 kam es zu einem Mordfall in der jüdischen Gemeinde, ein Mann namens Josel erschlug einen gewissen Scholam. Der Stadtrat griff als Richter und Schlichter ein, Josel wurde ausgewiesen.
1495 fand in Worms ein Reichstag statt, auf dem weit reichende Reformen für das Alte Reich festgelegt wurden. König Maximilian I. erhielt während des reichstages von der jüdischen Gemeinde zahlreiche Geldgeschenke und bestätigte dafür ihre Privilegien. Kurfürst Philipp von der Pfalz und Königin Maria Blanca besuchten die Synagoge und hörten sich dort den Gesang an.
Insgesamt behielt die Wormser jüdische Gemeinde ihre überregionale Bedeutung, wenn auch nicht mehr auf dem Gebiet der Gelehrsamkeit. Sie war eine der wenigen intakten und gar florierenden Gemeinden, in der noch alle wichtigen Institutionen vorhanden waren, Synagoge, Friedhof, Spital, Gericht und Talmudhochschule. Da viele Gemeinden in der Umgebung nur klein und für den Gottesdienst nicht voll ausgestattet waren, verlieh die Gemeinde wenn nötig ihre Tora-Rollen. Auch existierte innerhalb der Gemeinde ein hoch entwickeltes Wohltätigkeitswesen. Gleichzeitig wurde das Judenviertel Ende des 15. Jahrhunderts zum Ghetto, zwei Tore wurden an den Enden der Judengasse angebracht, mit der das Viertel abgeschlossen werden konnte.
0.10.Die Judenordnungen
Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts waren etwa 300 Juden in Worms ansässig, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erlaubte die Stadt die Verdoppelung der Einwohnerzahl, um dadurch mehr Steuern zu erhalten. Bis Mitte des 17. Jahrhunderts stieg die Zahl der jüdischen Einwohner auf 700 und lag somit wieder bei 10% der Gesamtbevölkerung. Dadurch wurde der Platz in der Judengasse aber auch eng, da lange Zeit keine baulichen Erweiterungen genehmigt wurden.
1505 wird eine neue Judenordnung von der Stadt beschlossen, in der festgelegt wurde, dass der Stadtrat künftig den Judenrat einsetze. Die erste ausführlich erhaltene Judenordnung stammt aus dem Jahr 1524. Darin wurde festgelegt, dass für die Aufenthaltserlaubnis jährlich 800 Gulden von der Gemeinde zu zahlen seien, dass die jüdische Gemeinde dafür Synagoge, Schule, Bad, Tanzhaus und Friedhof nutzen und einen Rabbiner, Kantor und eigenen Judenmetzger unterhalten durfte. Das jüdische Gericht konnte nur mit Zustimmung der Stadt arbeiten, das jüdische Pfandgeschäft wurde eingeschränkt, ebenso die Aufnahme neuer Juden, die nur noch mit Zustimmung der Stadt geschah. Alle jüdischen Einwohner hatten ihre Kleidung mit einem gelben Ring zu kennzeichnen, an hohen christlichen Feiertagen wie Ostern und Pfingsten durften sie nicht ausgehen. Jüdische Kaufleute und Handwerker durften nur für die eigene Gemeinde arbeiten und nicht mit Christen konkurrieren.
0.11.Warmaisa in der Frühen Neuzeit
Im Jahr 1615 kam es zu einem erneuten Pogrom in Folge des Fettmilchaufstandes in Frankfurt, einer von den Zünften organisierten judenfeindlichen Revolte. Im Auftrag des Kaisers erzwang der Pfälzer Kurfürst die Rückkehr der geflohenen Juden und bestrafte die Verfolger. Viele Juden klagten erfolgreich vor dem Reichskammergericht gegen die Vertreibung und konnten einen Teil ihres Besitzes zurückgewinnen.
Allgemein verstärkten sich im 17. Jahrhundert die Versuche, die Juden zum Christentum zu bekehren. Man erlaubte ihnen den Besuch des christlichen Gottesdienstes und ordnete das Studium christlicher Theologie an. Die Maßnahmen zeigten jedoch kaum Erfolg. Zur etwa gleichen Zeit entstand das Wormser Wunderbuch „minhagim“ von Juspa Schammes, in welchem neben der Beschreibung verschiedener Legenden und Wunder auch der Alltag, die Sitten und Bräuche der jüdischen Gemeinde ausführlich dargestellt wurden.
Im Jahr 1689 wurde Worms während des Pfälzischen Erbfolgekrieges weitgehend zerstört, Juden konnten sich danach wieder im Judenviertel ansiedeln und waren am Wiederaufbau beteiligt. 1699 wurde in einem Vertrag mit der Stadt ihre Leibeigenschaft aufgehoben, ein Jahr später wurde die Synagoge neu aufgebaut. Zu dieser Zeit lebten etwa 600 Juden in Worms und machten somit knapp 17% der Bevölkerung aus.
Während der Koalitionskriege fiel Worms 1797 an Frankreich, das Ghetto wurde aufgelöst und die Tore abmontiert, die Juden durften sich wieder frei in der Stadt niederlassen und bewegen. 1849 bis 1852 war mit Ferdinand Eberstadt sogar ein jüdischer Bürgermeister im Amt.
Das Wormser Judenviertel gehört zu den besterhaltenen im Rheinland. Synagoge und Bad sind noch immer zu besichtigen, und auch die Judengasse selbst weist noch viele Spuren der jüdischen Gemeinde auf.
0.12.Literatur
Redaktionelle Bearbeitung: Juliane Märker
Verwendete Literatur:
- Haverkamp, Alfred: Zur Siedlungs- und Migrationsgeschichte derJuden in den deutschen Altsiedellanden während des Mittelalters. In: Juden in Deutschland. Hrsg. von Matheus, Michael. Stuttgart 1995.
- Preißler, Matthias: Die SchUM-Städte am Rhein. Speyer (Schpira) – Worms (Warmaisa) – Mainz (Magenza). Regensburg 2012.
- Reuter, Fritz: Die Heilige Gemeinde Worms. Zur Geschichte des Oberrheinischen Judentums. In: Juden in Deutschland. Hrsg. von Matheus, Michael. Stuttgart 1995.
- Reuter, Fritz: Warmaisa. 1000 Jahre Juden in Worms. Frankfurt a.M. 1987.
- Stemberger, Brigitte: Geschichte der Juden in Deutschland von den Anfängen bis zum 13. Jahrhundert. In: Juden in Deutschland. Zur Geschichte einer Hoffnung. Hrsg. Von Peter von der Osten-Sacken. Berlin 1980.
- Ziwes, Franz-Josef: Studien zur Geschichte der Juden im mittleren Rheingebiet während des hohen und späten Mittelalters. Hannover 1995.
Erstellt am: 21.03.2013
Aktualisiert am: 19.12.2014